Drittes Reich

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itlers Machtergreifung wurde von vielen Studenten begeistert begrüßt, auch wenn sie nicht zur NSDAP gehörten. Die ersten Gewaltmaßnahmen gegen Kommunisten, Sozialdemokraten und Juden wurden von vielen Verbindungen gutgeheißen.Die neuen Machthaber gaben vor, sogenannte „Arbeiter der Stirn“ (Akademiker) und „Arbeiter der Faust“ (Arbeiter) gleichrangig zu behandeln. Ab 1934 wurde unübersehbar, dass sie Studentenorganisationen nicht von der Gleichschaltungspolitik ausnehmen würden.Die NSDAP bemühte sich schon früh um studentische und akademische Mitglieder, die ihr auch zuströmten. 1926 hatte sie dazu den Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund (NSDStB) gegründet. Dieser organisierte seine Mitglieder in örtlichen "Kameradschaften" und strebte ihre Kasernierung in einem jeweils zu schaffenden „Kameradschaftshaus“ an. Dieses Ziel sollte 1934 durch den Feickert-Plan, benannt nach dem damaligen NS-Führer der Deutschen Studentenschaft, auf alle Studenten übertragen werden. Traditionelle Organisationsformen wurden als „reaktionär“, „spießig“ und „ewiggestrig“ denunziert.
Die Nürnberger Rassengesetze sollten in allen bis dahin noch bestehenden Verbindungen rigoros durchgesetzt werden. Die Verwandtschafts- und Abstammungsverhältnisse mussten in jeder Verbindung per Fragebogen abgefragt werden. Jede Verbindung musste in Folge nicht nur alle Juden, sondern auch alle „jüdisch versippten“ Nichtjuden, mit „Halb-“ und „Vierteljüdinnen“ verheiratete Mitglieder ausschließen und darüber Vollzug melden. Zuwiderhandlungen führten zur Einstufung als „nicht-arische Organisation“, der kein Student angehören durfte.Betroffene Verbindungen versuchten es zum Teil mit Anträgen auf Ausnahmeregelungen und Verzögerungstaktik. Viele der betroffenen Alten Herren traten freiwillig aus, um der eigenen Verbindung nicht zu schaden. Aber die Convente akzeptierten das oft nicht, so dass ihnen nur noch die freiwillige Einstellung des Aktivenbetriebes (Suspension) übrig blieb.



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ier zeigte sich das Konfliktpotential zwischen traditionellen Verbindungsidealen und der nationalsozialistischen Ideologie. Es gab eine Reihe von theoretischen Konfliktpunkten:• Demokratieprinzip: Trotz der seit 1871 allgemein konservativen Ausrichtung verankerten die Convente die demokratische Unabhängigkeit ihrer Entscheidungen in den Verbindungen. Das widersprach dem Führerprinzip, das die Nationalsozialisten nun durchsetzten.
• Lebensbundprinzip: Obwohl die meisten Verbindungen schon seit 1880 keine Juden mehr als Neumitglieder aufgenommen hatten, blieben ihnen viele "Alte Herren" jüdischer Herkunft verbunden. Das kollidierte nun mit dem „Arierprinzip“, das die Nationalsozialisten auf alle Alten Herren ausdehnten.
• Studentischer Ehrbegriff: Die uralte Tradition, dass jeder Student die eigene Würde zu wahren und die eines jeden anderen zu achten habe, widersprach der nationalsozialistischen Auffassung. Der individuelle Ehrbegriff wurde nun ganz der „Treue zum deutschen Volk“ untergeordnet: Ehrenhaft war, was der Volksgemeinschaft nützte, und was das war, bestimmte allein die NSDAP. Aus der Verpflichtung zur individuellen Gewissensentscheidung wurde der Kadavergehorsam.
• Couleur und Brauchtum: Als autonome Zusammenschlüsse hatten die Verbindungen im Laufe der Jahrhunderte eine große Vielfalt an kulturellen Ausdrucksformen gepflegt und weiterentwickelt. Sie dienten ursprünglich der Differenzierung der einzelnen Verbindungen untereinander und später wohl auch der elitären Abgrenzung des Akademikernachwuchses vom Rest des Volkes. Das lehnten die Nationalsozialisten ab. Sie verlangten stattdessen die völlige Eingliederung in die klassenlose Volksgemeinschaft. Studenten hatten möglichst Kameradschaftsuniform zu tragen. Das Ideal war der einheitliche „Volksgenosse“.
• Lebensfreude: Das Ausleben jugendlicher Lebensfreude in traditionellen außeruniversitären Freizeitaktivitäten widersprach nun ebenfalls der Verpflichtung gegenüber der „Volksgemeinschaft“. Die Nationalsozialisten füllten die Freizeit der Studenten mit Wehrsport und ideologischer Schulung aus.



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m den Konflikt zwischen dem Interesse an den Studenten und der Ablehnung ihrer Werte zu überbrücken, verfolgten die Nazis eine Strategie von „Zuckerbrot und Peitsche“: Botmäßigkeit wurde belohnt, Verzögerungstaktik bestraft.Die Verbindungen reagierten darauf unterschiedlich. Einige Dachverbände sahen ihre Aufgabe mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten als erfüllt an und lösten sich auf, sei es freiwillig oder wegen des Drucks der Regierung. Andere versuchten, zu "überwintern" und passten sich äußerlich an. Sie wollten sich nicht auflösen, sondern ihre Werte und Traditionen für spätere Generationen bewahren. Sie hofften, dass Hitlers Herrschaft nur kurzlebig sei und gingen daher viele Kompromisse ein. Einige wenige verteidigten ihre Binnenstrukturen offensiv.
Die Konflikte wurden auch auf der Straße ausgetragen. Es kam immer häufiger zu Rempeleien und Prügeleien zwischen Verbindungsstudenten und nationalsozialistischen Kameradschaftsangehörigen. Besonders heftig waren die so genannten Göttinger Krawalle, bei denen im Juli 1934 an zwei Tagen regelrechte Straßenschlachten zwischen Anhängern der Nationalsozialisten und Verbindungsstudenten stattfanden. Am Ende ging die Polizei mit gezogenen Säbeln und Gummiknüppeln, aber auch die Feuerwehr mit Wasserwerfern gegen die Verbindungsstudenten vor, von denen einige verhaftet wurden. Den Höhepunkt bildeten die Ereignisse um das Heidelberger Spargelessen, bei dem im Mai 1935 einige Corpsstudenten öffentlich ihr Missfallen über Adolf Hitler zum Ausdruck brachten.



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ie Nationalsozialisten nutzten diese Vorfälle mit Hilfe der gleichgeschalteten Presse sofort aus, um publizistisch Druck für die Gleichschaltung auch der Studentenverbindungen zu machen. Zwischen 1934 und 1936 hatten sich die meisten Studentenverbindungen entweder selbst aufgelöst oder waren zwangsaufgelöst worden. Die Altherrenverbände und einige wenige (vor allem katholische) aktive Studentenverbindungen existierten noch bis etwa 1938 (Himmler-Verbot vom 20.06.1938). Da die Nationalsozialisten die Alten Herren zur Finanzierung der Kameradschaften brauchten, tarnten sich viele Verbindungen als Kameradschaften, um so trotz strengen Verbots möglichst viele alte Werte und Sitten heimlich weiter zu vermitteln. Danach waren praktisch alle Studenten Mitglieder in den nun zahlreich gegründeten Kameradschaften. Diese übernahmen nun auch die Häuser der Studentenverbindungen.
Im Krieg ließ seit etwa 1941 die Überwachung der Universitäten nach. Dort studierten fast nur noch verwundete Kriegsheimkehrer. So konnten sich lokal einige Verbindungen heimlich neu gründen, Veranstaltungen in Couleur abhalten und sogar Mensuren fechten. 1944 planten Kösener Corpsstudenten aus Leipzig, Würzburg, Tübingen und Bonn sogar, ihren Dachverband wieder zu gründen und feierten in Couleur eine Kneipe auf der Rudelsburg, dem traditionellen Treffpunkt des Verbandes. Doch der dazu nötige Schriftverkehr fiel auf. Die Gestapo strengte ein Ermittlungsverfahren wegen „Gründung neuer Parteien und Hochverrat“ an. Die Ermittlungsakten wurden jedoch bei einem alliierten Bombenangriff in Berlin im Frühjahr 1945 vernichtet.
Eine Reihe von Verbindungsstudenten machten Karriere in Hitlers Partei und Staat. Andere beteiligten sich an Widerstandsversuchen. Sie gehörten zum inneren Führungskreis der Attentäter des 20. Juli 1944, zum Kreisauer Kreis, zur Bekennenden Kirche oder starben als Einzelkämpfer oder Geistliche in Gestapohaft und Konzentrationslagern.